Go East: Warum immer mehr B2B Unternehmen Digitalhubs in Berlin eröffnen

Brandenburger Tor in Berlin bei NachtCredit: Fotolia / TTstudio

Autor: Lennart Paul, VOTUM

Der deutsche Mittelstand gilt in Deutschland zwar noch immer als das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Als Innovationstreiber allerdings würde man ihn gemeinhin nicht ansehen. In der öffentlichen Wahrnehmung lesen die Mitarbeiter klassischer B2B-Unternehmen noch immer eher Faxe als E-Mails. Und statt Baumaschinen online per Facebook-Messenger zu vertreiben, steigt der Außendienstler in seinen VW Passat und fährt persönlich zum Kunden vor Ort.

Doch das Bild ist schief: Denn immer häufiger lässt sich in den letzten Monaten beobachten, wie gestandene Mittelständler ihre Zelte in Berlin aufschlagen und dort eigene Digitalhubs aufbauen. Die Zielsetzung der jungen B2B-Startups ist klar: neue digitale Geschäftsmodelle etablieren, den eigenen Markt disrupten und als Schnellboote keine Rücksicht nehmen zu müssen auf unflexible IT-Systeme, eingefahrene Prozesse und die fehlende digitale DNA im Unternehmen.

Screenshot von Kloeckner.i

Kloeckner.i stellt der Stahlindustrie digitale Lösungen zur Verfügung

Das wohl prominenteste Beispiel hierfür ist das von CEO Gisbert Rühl etablierte „kloeckner.i“. Das Kompetenz-Center für Digitalisierung ist im Januar 2015 angetreten, den erzkonservativen Stahlmarkt in Eigeninitiative einmal auf Links zu drehen, um der zunehmenden Marktkonsolidierung und der wachsenden Konkurrenz aus Fernost etwas entgegenzusetzen. Das rund 20-köpfige Team soll die hochgradig ineffiziente Lieferkette in der Stahlindustrie, beherrscht von Bestellungen per Telefon, Fax oder Mail, optimieren, Prozesskosten und Kapitalbindung minimieren und dadurch eine ganze Industrie revolutionieren. Zudem zeichnet kloeckner.i verantwortlich für die Steuerung von Online-Marketing-Aktivitäten und sorgt als Plattform für Wissens- und Ideentransfer dafür, die Zusammenarbeit aller Klöckner & Co-Landesgesellschaften im Rahmen der Digitalisierung zu koordinieren.

Obwohl von Anlegerseite kritisch beäugt, hält Klöckner an seiner Strategie fest. Erste Ergebnisse gibt es bereits: Eine Kontraktplattform erleichtert die Überwachung von verfügbaren Mengen und Restlaufzeiten von Kontrakten, deren Status bisher nur per Telefon und E-Mail geklärt werden konnten. Die neue Plattform digitalisiert den gesamten Prozess. Kunden können direkt online alle relevanten Informationen einsehen und auch bereits ausgelaufene Lieferverträge aufrufen. Durch einen Webshop will sich Klöckner von anderen Distributoren differenzieren und sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Eine Werkzeugnisplattform optimiert die Belieferung der Kunden mit Qualitätsnachweisen und ein einheitliches E-Mail-Marketing-Tool informiert wöchentlich tausende Kunden über Produkte und Sonderangebote.

Screenshot von Klickrent.com

Zeppelin führt auf Klickrent.com Mieter und Vermieter von Maschinen und Geräten zusammen

Auch Zeppelin, großer Player auf dem Baumaschinenmarkt, hat seit Mitte 2014 mit Klickrent eine hundertprozentige Tochter in Berlin. Der Baumaschinenhersteller hat sich von der boomenden Sharing Economy inspirieren lassen und einen Marktplatz gelauncht, über den Hersteller, professionelle Vermiet-Unternehmen, Händler aber auch Bauunternehmern mit eigenem Fuhrpark Maschinen und Geräte, die aktuell gering ausgelastet sind, an Startups oder kleine Bauunternehmern vermieten können. Auf lange Sicht soll der Marktplatz erweitert werden um ein komplettes Flottenmanagement oder Telematik-Lösungen. In agilen, iterativen Prozessen wird die Plattform kontinuierlich verbessert und optimal an Kundenbedürfnisse und Veränderung im Markt angepasst. Zeppelin selbst lernt dadurch, wie agile Produktentwicklung funktioniert und dass es Online-Marketing-Konferenzen wie „Online Marketing Rockstars“ gibt.

Die Motivation liegt dabei auf der Hand: Berlin etabliert sich als europäische Hauptstadt der Digitalisierung. „Sie bekommen keine Digitalexperten nach Oberfranken / auf die Schwäbische Alb / in die Lüneburger Heide“, ist ein Satz, den man in den unterschiedlichsten regionalen Ausprägungen von den Unternehmen oft zu hören bekommt. Zudem erdrücken die klassischen Strukturen in den Unternehmenszentralen die innovativen Ansätze.  Der Zugang zu qualifiziertem Personal und exzellenten Digitalnetzwerken ist für die meisten Unternehmen das ausschlaggebende Argument. Hinzu kommen, im deutschen Vergleich, bezahlbare Mieten und Gehälter.

Berlin ist das Glücksversprechen, in einer schnörkellosen, innovativen Umgebung die Digitale Transformation erfolgreich für das Gesamtunternehmen zumindest einleiten zu können. Die Voraussetzungen in Berlin scheinen dafür so gut zu sein, wie sonst vielleicht nur im Silicon Valley. Spannend und entscheidend ist jedoch, wie die Unternehmen es schaffen, die Erkenntnisse aus ihren Digitalhubs wieder zurück in ihr Kerngeschäft zu überführen. Eine in ein Start-Up ausgelagerte Digitalstrategie wird den Unternehmen nicht dabei helfen, die Digitale Transformation zu meistern.

lennart-paulAutor Lennart Paul ist Senior E-Commerce-Consultant bei der Berliner E-Commerce-Agentur VOTUM.

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